Sozialverträglich und klimafreundlich modernisieren

Einleitung

Die in unserem Dossier "Klimasozial sanieren" betrachteten best practices wurden von städtischen Wohnungsbaugesellschaften realisiert und lassen Schlüsse zu, wie sozialverträgliches und gleichzeitig klimafreundliches Sanieren ist möglich ist.

Viele Menschen haben Angst, sich in Zukunft ihre Wohnungen nicht mehr leisten zu können – besonders in Großstädten, wo die Mieten in den letzten Jahren explodiert sind. Erst am 6. April gingen Zehntausende gegen „Mietenwahnsinn“ in Berlin, aber auch in Dresden, Köln, München, Hannover, aber auch in Paris, Barcelona und Lissabon auf die Straße- Auch energetische Modernisierungen, die aus klimapolitischer Sicht dringend notwendig sind, tragen teilweise erheblich zum Anstieg der Mieten in Ballungsräumen bei. Gibt es keinen Ausweg aus dem Dilemma zwischen klimafreundlichen Gebäuden und einer sozialverträglichen Vermietungspraxis? Doch, den gibt es – wir stellen fünf Beispiele vor, die es anders gemacht haben.

Kaum etwas beschäftigt die Bewohner/innen städtischer Ballungsräume heute mehr als Wohnungsnot und explodierende Mietpreise. Gegenwärtig befürchten fast drei Viertel aller Deutschen, sich wegen steigender Mieten ihre Wohnungen nicht mehr leisten zu können. Das nicht ohne Grund: Seit etwa zehn Jahren stiegen die Mieten in städtischen Ballungsräumen, also in Großstädten und den umgebenden Kommunen, stark an. Mit am stärksten war der Anstieg in der deutschen Hauptstadt, wo sich die Mieten in den letzten zehn Jahren durchschnittlich fast verdoppelt haben.

Die Ursachen für diese Entwicklung sind vielfältig: Boden- und Immobilienspekulation, Umwandlung von Miet- und Eigentumswohnungen, Wegfall von Sozialwohnungen aus der Bindung und zu wenig Neubau, insbesondere von Sozialwohnungen, bis hin zu steigender Nachfrage durch Arbeitskräftewanderungen durch den Anstieg kleiner Haushalte in großen Familienwohnungen. Zu den Treibern der Mietenexplosion gehören aber auch energetische Modernisierungsmaßnahmen. Laut einer Studie des Berliner Mietervereins von 2017 sind die Mieten bei den dort untersuchten 200 Modernisierungsfällen um durchschnittlich 2,44 €/m2 bzw. – gemessen an der ortsüblichen Vergleichsmiete – um 42% gestiegen. Der Mieterverein hatte in den Jahren 2012/13 sowie 2015/16 ca. 200 Modernisierungsankündigungen nach den Baukosten und der Mietentwicklung im Anschluss an die Maßnahme untersucht. Ca. zwei Drittel der auf die Mieten umgelegten Kosten wurden dabei energetisch begründet.

Es geht auch anders

Dass das auch anders geht, zeigen unsere fünf Beispiele klimafreundlicher Modernisierungen. Bei ihnen wurden Mieterhöhungen und Einsparungen bei den Heizkosten so austariert, dass Mieter/innen nur sehr geringfügige bis moderate Mehrbelastungen tragen mussten. Die Mieter/innen mussten maximal einen Euro pro Quadratmeter mehr Warmmiete zahlen, bei zwei der Beispiele waren es ca. 25 Cent, zwei waren tatsächlich warmmietenneutral (d.h. auf die Mieter/innen ist keinerlei Warmmietenerhöhung zugekommen). Dabei sind durchaus relevante Energieeinsparungen erreicht worden – nach der Sanierung verbrauchten einige Wohnungen nur noch die Hälfte, andere nur noch ein Zehntel der Endenergie. Energetische Sanierungen dieser Art sind natürlich nicht zum Nulltarif zu haben: Die gesamten Sanierungskosten (inklusive der energetischen Modernisierungen) betrugen zwischen 3,5 Mio. € (für 48 Wohnungen) bis 105 Mio. € für (2.400 Wohnungen). Was unterscheidet unsere Beispiele von der vielfach verbreiteten, die Mieter/innen belastenden Modernisierungspraxis?

Best practice sozial: Verzicht auf die volle Modernisierungsumlage

Bei allen von uns untersuchten Projekten haben die Wohnungsbaugesellschaften bzw. –genossenschaften darauf verzichtet, die Modernisierungsumlage auszuschöpfen. Zu dem Zeitpunkt, als diese Körperschaften ihre Maßnahmen umsetzten, galt noch die Modernisierungsumlage von elf Prozent. Das Mietrecht hat erlaubt (§ 559 BGB), die gesamten Kosten von Modernisierungen mit elf Prozent jährlich auf die Miete umzulegen – für die Vermieter/innen eine risikolose Regelung, denn auf diese Weise amortisieren sich alle Maßnahmen nach ca. neun Jahren. Die Mieter/innen zahlen die höhere Miete aber weiter. Bei den energetischen Maßnahmen spielt keine Rolle, ob sie tatsächlich zu Energieeinsparungen führen. Dass das vielfach nicht der Fall ist, belegt die eingangs genannte Studie des Berliner Mietervereins. Danach konnte in den dort untersuchten Fällen nur bei wenigen Vorhaben eine deutliche Energieeinsparung erreicht werden. Dass inzwischen die Modernisierungsumlage bundesweit auf acht Prozent abgesenkt wurde, ändert wenig an der grundsätzlichen Problematik.

In einem der von uns betrachteten Fällen wurden 5,7 Prozent der Kosten der energetischen Modernisierung auf die Mieter/innen umgelegt, auf die Umlage anderer Modernisierungen verzichtet. Die anderen Beispiele haben drei bis vier Prozent der Gesamtkosten umgelegt bzw. verzichteten ganz auf die Umlage. Eines unserer Beispiele – Energiesprong – ist in den Niederlanden angesiedelt, wo es die hiesigen Regelungen zur Modernisierungsumlage nicht gibt. Warmmietenneutralität ist im niederländischen Fall das erklärte Ziel des Programms.

Die in diesem Dossier betrachteten deutschen best practices wurden von städtischen Wohnungsbaugesellschaften (degewo AG, Wohnbau Gießen) oder Wohnungsbaugenossenschaften (Charlottenburger Baugenossenschaft eG, Märkische Scholle Wohnungsunternehmen eG) realisiert – Unternehmen also, die im städtischen Auftrag oder im Auftrag ihrer Mitglieder für sozialen Mietraum zuständig sind. Alle städtischen Wohnungsbaugesellschaften in Berlin wurden mittlerweile von Land verpflichtet, nur noch sechs Prozent ihrer Modernisierungskosten auf die Nettokaltmiete aufzuschlagen.

Förderprogramme reduzieren die Kosten der energetischen Sanierung erheblich

Im Falle der Wohnbau Gießen refinanzieren sich die rein energetischen Maßnahmen schon fast durch die Zuschüsse, die die Gesellschaft von der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) und vom Land Hessen (Förderprogramm: Modernisierung zum Passivhaus im Bestand) erhalten hat. Und bei den Genossenschaften haben sich die Genoss/innen darauf verständigt, die Kosten intern „quer“ zu subventionieren (z.B. durch Dachgeschossausbau) und nur zum geringen Teil auf die Mieter/innen umzulegen. Auch hier wurden Fördermittel eingeworben.

Best practice: auch energetisch?

Ja, auch energetisch gehören unsere Beispiele zu den Vorreitern. Wobei sich die Philosophien durchaus unterscheiden: Die Wohnbau Gießen etwa setzt – sicher auch motiviert durch eine entsprechende Förderung des Landes Hessen – mit 30 cm Dämmstärke auf einen Qualitätssprung in der Energieeffizienz und schafft damit eine Reduzierung des Endenergieverbrauchs auf rund ein Zehntel. Die Wohnbaugenossenschaft Märkische Scholle dagegen hat wegen der Anforderungen der staatlichen KfW-Förderung 12 cm Dämmung aufgebracht, wäre aber nach eigener Auskunft  auch durchaus mit noch etwas weniger Dämmung ausgekommen. Die Märkische Scholle führt am Standort Lichterfelde Süd einen Modellversuch durch, in dem die Dämmeigenschaften verschiedener Materialien (neben Polystyrol auch Mineralwolle, Holzweichfaser und Hanf) getestet werden. Ohne Dämmung allerdings geht es nicht – da sind sich alle Akteure in den Beispielen einig.

Was die Anlagentechnik angeht, verwenden alle Projekte mindestens Fernwärme oder Nahwärme mit Kraft-Wärme-Kopplung. Zum Einsatz kommen meist auch PV und Solarthermie. Mit regenerativen Energien direkt bei der Wärmeversorgung arbeiten die degewo, die Märkische Scholle und Energiesprong. Die degewo hat bei Wohnanlage Mariengrün nun eine Biogas-BHKW mit 800 kW Leistung im Einsatz (außerdem ein Erdgas-BHKW). Die Märkische Scholle nutzt zur Wärmeversorgung direkt regenerative Energie: durch Solarthermie und Erdwärme. Fernwärme wird nur zur Spitzenlastabdeckung im Winter genötigt. Wenn mehr Wärme produziert als verbraucht wird, kann die Wärme in einem Erdwärmespeicher, dem sog. eTank, in der Erde gespeichert werden. Dadurch kann bis zu 80% des Ertrags der solarthermischen Anlage genutzt werden. Der Genossenschaft gelang es, den Primärenergiebedarf auf ein Siebtel zu senken.

Energiesprong ist ein niederländisches Projekt mit einigen Besonderheiten, die noch nicht 1:1 auf Deutschland übertragen werden können. Dort werden Reihenhäuser mit modularen, industriell vorproduzierten Bauteilen saniert. Die industrielle Produktion senkt die Baukosten erheblich. Die Häuser werden mit Anlagen zu regenerativer Wärme- und Stromerzeugung ausgestattet und produzieren dann so viel Energie, wie ihre Bewohner/innen über das Jahr gesehen für Wärme, Warmwasser und Haushaltsstrom benötigen. Ein Anschluss an das Gasnetz erübrigt sich damit (Net-Zero-Standard). Die Warmmietenneutralität war bei Energiesprong eine Vorgabe des Programms. Unser Beispiel zeigt allerdings, dass die Mieterin zuvor sehr wenig Nettokaltmiete gezahlt hat und demgegenüber ungleich hohe Energiekosten. Unter diesen Umständen scheint es natürlich wesentlich leichter, Warmmietenneutralität abzufedern –

wenn nämlich die Modernisierung sich aus den Energieeinsparungen tatsächlich refinanziert. Die Deutschen Energie-Agentur (dena) versucht Energiesprong mit Bezug auf die serielle, modulare Sanierung in Deutschland einzuführen, allerdings ohne die Vorgabe der Warmmietenneutralität.

Also wie kann es gehen?

Die Beispiele von „Sozialverträglich und klimafreundlich modernisieren“ liefern keine Blaupausen, lassen aber durchaus verschiedene Schlüsse zu.

  1. Die Modernisierungsumlage ist unter gegenwärtigen Umständen nicht mehr zeitgemäß. Für Mieter/innen führt sie, speziell im Zusammenhang mit der Notwendigkeit energetischer Sanierung, zu erheblichen sozialen Verwerfungen. Kontraproduktiv ist auch, dass es für die Baukosten, die auf die Mieter/innen umgelegt werden, keine Rolle spielt, ob überhaupt eine relevante Energieeinsparung erzielt wird. Die derzeitige Absenkung der Modernisierungsumlage auf 8 Prozent ist noch nicht ausreichend. Die politischen Vorschläge, darauf angemessen zu reagieren, reichen von Vorschlägen der Grünen: Absenkung der Modernisierungsumlage auf sechs Prozent. Zugleich soll die Umlage von Modernisierungsmaßnahmen auf die energetischen Modernisierungen, den Abbaus von Barrieren sowie auf den Einbruchschutz geschränkt werden – bis zum Berliner Mieterverein, der perspektivisch die komplette Abschaffung der Modernisierungsumlage fordert. Für eine Übergangzeit plädiert der Verein dafür, die Umlage auf 4 Prozent abzusenken und die Mieterhöhungen aufgrund der Modernisierung für einen Zeitraum von acht Jahren auf maximal 1,50 m2 zu begrenzen.
     
  2. Energetische Modernisierungen sind unter den gegenwärtigen Bedingungen auf den Wohnungsmärkten leider zu einem Vehikel für erhebliche Preissteigerungen und auch für die Vertreibung von Mieter/innen geworden. Damit energetische Modernisierungen hauptsächlich das erreichen, was sie erreichen sollen – nämlich Energieeinsparung – ist es hilfreich, gemeinwohlorientierte bzw. gemeinnützige Akteure gegenüber rein renditegetriebenen Akteuren besonders zu fördern bzw. bei der Vergabe von Bauland zu bevorzugen. Nicht umsonst wurden alle unsere Beispiele von städtischen Wohnungsbaugesellschaften bzw. Genossenschaften realisiert. (Wobei es vermutlich auch private Vermieter/innen gibt, die sich so verhalten, wir haben nur keine gefunden).
     
  3. Aus energetischer Sicht ist es notwendig, bis 2050 sowohl den Energieverbrauch von Gebäuden erheblich zu senken, als auch fast vollständig regenerative Energien zur Wärmeproduktion einzusetzen. Strategisch wäre es günstig, zunächst den Energieverbrauch der Gebäude zu senken, das bedeutet: Wärmedämmung auf Passivhausniveau. Auf diesem Niveau ist dann das Heizen mit regenerativen Energien (Wärmepumpen, Solarthermie) relativ leicht möglich. Das setzt Dämmstärken über das gesetzlich Geforderte voraus. Viele Menschen haben, teilweise auch zu Recht, Vorbehalte gegenüber der Fassadendämmung mit Polystyrol. Es gibt allerdings auch andere Dämmstoffe, die aber nicht angemessen gefördert werden.
     
  4. In der Wohnungswirtschaft ist es daher auch beliebt, zunächst die Anlagentechnik (Wärmeproduktion und –verteilung) in den Blick zu nehmen. Die Versorgung erfolgt dann meist über ein (Nahwärme-)Netz, in das Blockheizkraftwerke mit Erdgas oder Biogas oder auch solarthermische Anlagen Wärme einspeisen. Das ist auch bei nicht optimaler Dämmung erheblich vorteilhafter als Einzelheizungen auf Öl- oder Erdgasbasis. Die BHKWs nutzen Kraft-Wärme-Kopplung und erhöhen somit die Energieausbeute erheblich. Netze, in die überwiegend regenerative Wärme eingespeist wird, sind ohnehin energetisch fortschrittlich. Allerdings stehen für den Wärmesektor perspektivisch nicht genügend Erneuerbare zur Verfügung, wenn an der Energieeffizienz der Gebäude nichts geändert wird. Beziehungsweise wird bei Sektorkopplung für die sogenannte Dunkelflaute dann eine erhebliche Menge an Reservekraftwerken benötigt. Hier ist ein volkswirtschaftliches Optimum zu erreichen.
     
  5. Notwendig ist also, Gebäude nach und nach von beiden Seiten anzugehen: den Endenergieverbrauch zu senken und die Energie auf Erneuerbare umzustellen. Es macht Sinn, beides im Zusammenhang zu betrachten, was das Gebäudeenergiegesetz (GEG) vom Ansatz her auch tut. Das Gesetz, das im Laufe des Jahres 2019 verabschiedet werden soll, setzt diese Idee jedoch nur sehr unzureichend um.
    Hilfreich wären aus energetischer Sicht in jedem Fall: Ein Gebäudeenergiegesetz, das den Energiebedarf der Gebäude nachhaltig senkt und gleichzeitig auf den steten Ausbau des Anteils Erneuerbarer im Wärmesektor erhöht; gute Förderprogramme für Passivhausstandard im Bestand, aber unbedingt auch für umweltfreundliche Dämmstoffe. Und ein CO2-Preis, der umweltfreundliche Lösungen auf Anhieb wirtschaftlich macht.

Sozialverträglich und gleichzeitig klimafreundlich sanieren ist möglich, aber es braucht die gemeinsame Entschlossenheit der Wohnungswirtschaft und vor allem der Politik, um einen wesentlichen Sprung nach vorn zu machen. Und durchaus auch die Bereitschaft der Mieter/innen, moderate Umlagen energetischer Modernisierungen nahe der Warmmietenneutralität für eine zukunftsfeste und angenehme Wohnung zu akzeptieren. Die Politik muss den Missbrauch der für Klimaschutz und Energiesicherheit erforderlichen Maßnahmen für Rausmodernisierungen stoppen.